Stefan

Hallo mein Name ist Stefan, ich komme aus dem wunderschönen OstfrieslandStefan Aug.83 und bin 32 Jahre alt. Ich habe noch einen drei Jahre älteren Bruder, der völlig gesund ist. Bei meiner Geburt bin ich „blau“ zur Welt gekommen und die Ärzte stellten später fest, dass ich einen dreifachen Herzfehler habe. Meine Mutter hatte mich bei der Geburt nicht einmal sehen dürfen, da ich schnellstmöglich versorgt werden musste. Wie es meiner Mutter in dieser Situation ging können sie sich sicher vorstellen. Der erste Fehler war ein Loch in der Herzscheidewand zwischen den beiden Herzkammern. Dies ist eigentlich nicht ungewöhnlich bei Neugeborenen da sich das Loch nach einiger Zeit von selbst wieder schließt. Allerdings war das bei mir nicht der Fall.
Der zweite Fehler war eine Verengung der Aorta, die dafür sorgte, dass das Herz das Blut nicht richtig pumpen konnte. Und last but not least das letzte und schlimmste Problem, eine Herzwandschwäche. Hierbei ist der Herzmuskel zu schwach, um das Blut richtig aus dem Herzbeutel befördern zu können, was zur Folge hat, dass der Körper unterversorgt und nicht leistungsfähig ist. Da es in meiner Gegend keine ausreichende ärztliche Versorgung für mich gab, musste ich weiter in ein Bremer Krankenhaus. Hier wurde ich nun erst einmal mit herzstärkenden Medikamenten eingestellt, sodass ich nach einiger Zeit wieder nach Hause konnte. So gingen einige Jahre ins Land, in denen ich mehr oder weniger gut leben und aufwachsen konnte, allerdings war ich nie großartig belastbar, so dass ich z.B. lange laufen oder spielen konnte. Im Alter von vier Jahren verschlechterte sich mein Zustand zusehends, sodass ich auf Anraten meines behandelten Arztes aus Bremen nach Berlin ins Deutsche Herzzentrum gebracht wurde, wo man gerade im Begriff war, ein neues Transplantationszentrum aufzubauen. Stefan vor der TransplantationZu dieser Zeit gab es noch keine großen Erfahrungen mit Kindern in Sachen Herztransplantation. Professor Hetzer erklärte sich jedoch bereit es zu versuchen und die riskante Operation durchzuführen. Nachdem die Voruntersuchungen abgeschlossen waren, wurde  ich auf die Transplantationswarteliste in Leiden gesetzt. Mittlerweile ging es mir so schlecht, dass ich weder laufen noch krabbeln konnte, selbst zur Toilette musste ich getragen werden. Die Zeit lief mir im wahrsten Sinne des Wortes davon, doch dann ging es am  8. Juni 1987 endlich los. Um 24 Uhr nachts kam der langersehnte Anruf, dass ein Spenderherz für mich gefunden wurde. Leider überhörten wir den ersten Anruf. Kurze Zeit später, es war inzwischen 0:15 Uhr klopfte auch schon die Polizei an unsere Tür, um uns zum Militärflughafen nach Wittmund zu bringen, wo schon ein Learjet der amerikanischen Armee auf uns wartete. Nun musste es sehr schnell gehen, da ein Herz innerhalb von vier Stunden verpflanzt werden sollte. Mein Vater brachte vorher noch schnell meinen damals acht Jahre alten Bruder bei unseren Nachbarn unter. Und so bekam ich unfreiwillig im Alter von gerade mal vier Jahren zu meinem ersten Flug. Als wir um ca. 1:30 am Flughafen Schönefeld angekommen waren, wartete schon ein Krankenwagen aus Ostberlin auf uns, um uns ins deutsche Herzzentrum Berlin zu befördern, welches zu der Zeit gerade einmal einen Monat in Betrieb gewesen ist. Nach einigen Untersuchungen wurde ich für die Operation vorbereitet. Da das Krankenhaus noch nicht auf Kinder eingestellt war, musste für mich noch ein Kinderbett in einem anderen Krankenhaus organisiert werden und ein vorhandener OP- Kittel wurde kurzerhand abgeschnitten. Nun endlich, gegen 2:30, ging es los mit der Operation, in der neben dem Spenderherzen auch einen Herzschrittmacher eingepflanzt wurde, welcher später mittels IMEG- Gerät die Tätigkeit des Herzens überwachen sollte. Nach ca. acht Stunden war die Operation vorüber und ich kam auf die Intensivstation. Morgens gegen 6 Uhr durfte meine Mutter mich erstmals besuchen. Nach einem Tag wurde ich bereits auf die Normalstation verlegt und meine Mutter durfte mit auf das Zimmer, um bei mir sein zu können. Zum Zeitpunkt der Transplantation war das Spenderherz schon seit acht Stunden aus dem Körper des Spenders entnommen worden, das sollte eigentlich schon zu lange gewesen sein, aber im Nachhinein hat alles sehr gut geklappt. Da so eine Operation ja sehr anstrengend ist, habe ich mir am gleichen Tag noch auf der Intensivstation zum Mittag ein Hähnchen und ein Eis bestellt, beides schmeckte sehr gut. Schon am ersten Tag fühlte ich mich wie neu geboren, sodassNach der OP man mich kaum im Bett halten konnte. Nun fing die Zeit der Genesung an, die Wunden heilten und mir ging es von Tag zu Tag besser. Da ich das erste Kind war, welches in Deutschland transplantiert wurde und es daher noch keine Erfahrungen auf diesem Gebiet gegeben hat, musste ich die ersten drei Monate im deutschen Herzzentrum in Berlin verbringen. Um die Muskeln und den Kreislauf aufzubauen, besorgte meine Mutter mir aus dem Karstadt ein Dreirad zum Treten. Mit diesem flitzte ich nun munter über die Gänge der Station, zum Leidwesen der Krankenschwestern, da ich mich nicht immer an deren Geschwindigkeitsbegrenzungen hielt. Nach einigen „Unfällen“ mit den Krankenschwestern bekam ich von der Oberschwester eine Fahrradhupe geschenkt, die auch sogleich an dem Dreirad befestigt wurde. Nun musste ich versprechen, vor jedem Abbiegen zu hupen, damit die Schwestern Zeit genug haben, um aus dem Weg springen zu können. Man kann sich bestimmt vorstellen, dass durch dieses „Tuning“ die Unfälle schlagartig zurückgingen. Wir hatten immer viel Spaß mit dem Personal da sie alle sehr nett sind und nicht nur ihre Arbeit machten, sondern auch die Menschlichkeit nicht zur kurz kommen lassen. So wurde das deutsche Herzzentrum Berlin für mich wie ein zweites zu Hause und jedes Mal, wenn ich zur Kontrolle muss, kommt es mir nicht so vor, als wenn ich ins Krankenhaus gehe, sondern eher, als wenn ich Bekannte besuche, da die meisten Angestellten immer noch dort arbeiten. Dieses Vertrauen wurde aber von Zeit zu Zeit auf die Probe gestellt, etwa wenn mich Dr. Loewe zur Herzkatheter Untersuchung abholen wollte, welche ich abgrundtief hasste. Ich sagte damals zur Dr. Loewe, dass ich nicht möchte, dass sie diese Untersuchung so oft durchführen, da bei jedem Mal ein kleines Stück vom Herzen entnommen wird und dadurch ja bald nichts mehr von meinem neuen Herzen übrig bleibt. Dies ist natürlich nicht so, aber als kleines Kind stellt man sich das so vor. Wenn ich hörte, dass eine Untersuchung ansteht, konnte es schon mal passieren, dass ich abgehauen bin oder mich z.B. unter einem Bett versteckt habe. Da Dr. Loewe ein sehr netter Arzt war, schlug er mir folgenden Deal vor: Wenn ich den Katheter machen lasse, fährt er mit mir in seinem Mercedes Oldtimer aus den 50er Jahren in die Stadt und geht mit mir Eis essen. Da mich schon als kleines Kind die Technik und Autos faszinierten, konnte ich ihm den Deal natürlich nicht abschlagen. Und so kam es, dass ich den Herzkatheter ohne Murren und Angst machen ließ. Zu der Zeit musste man allerdings nach dem Katheter 24 Stunden mit einem Druckverband ruhig liegen um ein Nachbluten zu verhindern. Für ein kleines Kind ist das verständlicherweise eine verdammt lange Zeit. Gott sei Dank hat sich die Zeit mittlerweile auf vier Stunden reduziert. Diese Untersuchung war für ein Kind eine ziemliche Tortur und deshalb ging man später dazu über, erst die Blutwerte und eine Ultraschalluntersuchung zu machen und nur bei näherem Verdacht die Herzkatheter-Untersuchung durchzuführen. Am Tag nach dem Katheter löste Dr. Loewe sein Versprechen ein und wir fuhren mit dem Oldtimer in die Stadt zum Eisessen. Oder es musste getestet werden, wie gut meine Lunge arbeitet. Das hierzu vorhandene Gerät war jedoch für Erwachsene ausgelegt und es war für mich viel zu schwer, den Ball mit meiner Luft nach oben steigen zu lassen. Meine Mutter fand hier aber schnell Abhilfe, sie fuhr mit der U-Bahn zu Karstadt und besorgte für mich ein Kindersaxophon. Dies ging für mich viel einfacher zu pusten und Krach machen zu dürfen, macht natürlich jedem Kind Spaß. Nach drei Monaten durfte ich das erste Mal an einem Wochenende nach Hause, da man sich Sorgen machte, flog ein Arzt aus Berlin sowie ein Techniker mit, um das IMEG- Gerät bei unserem Hausarzt installierte. Zum Anfang musste ich jeden Tag zum Hausarzt, später bekam ich das Gerät nach Hause und wir konnten es selbst anlegen. Mit der Zeit wurden die Abstände länger, von einem Tag, einem Wochenende, einer Woche, einem halben Jahr bis ich schließlich nur noch jährlich zur Kontrolle musste. Da das Herz ein Fremdkörper für meinen Organismus ist und durch das eigene Immunsystem nicht abgestoßen werden soll, muss ich bis an mein Lebensende Medikamente, die sogenannten Immunsuppressiva, nehmen. Sie unterdrücken zwar das körpereigene Immunsystem machen, es aber auch anfälliger gegenüber Krankheiten. Wenn ich die Medikamente morgens als „zweites Frühstück“ und abends als „zweites Abendessen“ einnehme, ist das das einzige, was mich noch dran erinnert, dass an meinem Körper etwas anders ist, sonst geht es mir wie jedem anderem Menschen auch. Anfangs musste ich sehr aufpassen, dass ich mir keine Keime einfange, deshalb trug ich immer, wenn ich unterwegs war, einen Mundschutz und Baumwollhandschuhe. Auch durften wir zu Hause keinen Teppich oder Blumen mit Blumenerde haben, da die voller Sporen sein konnten. Aber nach ein paar Jahren konnte ich die Sachen auch weglassen. Ich durfte wegen der Ansteckungsgefahr mit Kinderkrankheiten nicht in den Kindergarten. Zur Schule ging ich aber weitestgehend normal und erreichte einen guten Abschluss. Im Jahre 2000 fing ich eine Ausbildung zum Elektroniker beim Marinearsenal in Wilhelmshaven an, die ich aber 2003 aufgrund der Dialyse unterbrechen musste. Aber 2009 hatte ich dann das große Glück, eine Spenderniere zu bekommen und so konnte ich 2011 meine Ausbildung wieder aufnehmen. Ich heiratete 2013 meine Frau Tanja. Anfang 2015 schloss ich meine Ausbildung als Jahrgangsbester ab und arbeite nun ganz normal. In nächster Zeit beabsichtige ich ein Buch mit meiner Geschichte zu schreiben, um den Menschen einen Einblick zu verschaffen, wie gut es sich nach einer Transplantation leben lässt. Ich setzte mich nicht nur wegen meiner Geschichte für Organspende ein, sondern für mich ist es selbstverständlich und ein Akt der Nächstenliebe.