Wiebke

IMG-20150103-WA0050Hallo mein Name ist Wiebke Nee, ich bin 27 Jahre alt, verheiratet, Mutter eines zweijährigen Sohnes und warte auf ein Spenderorgan.
Ich erzähle euch meine Krankengeschichte.
Ich kam am 20.10.1987 als kerngesundes Mädchen auf die Welt. Alles war super, bis zu dem Zeitpunkt, als ich ca. 5 Jahre alt war. Ich war draußen am Spielen und fühlte mich ganz gut. Keine Beschwerden. Nach einiger Zeit draußen bin ich dann rein zu meinen Eltern. Meiner Mama fiel sofort auf, dass meine Augen gelb sind und auch meine Haut einen gelblichen Stich hatte. Sofort fuhren wir zu unserer Hausärztin. Diese untersuchte mich von Kopf bis Fuß und kam zu dem Entschluss, dass ich besser im Krankenhaus aufgehoben sei. Gesagt, getan. Meine Mama und ich fuhren ins nahgelegene Krankenhaus und auf einmal ging alles ganz schnell. Ich kam sofort auf die Kinderstation und lag unter Quarantäne, also auf einem Isolierzimmer. Dort verbrachte ich ca. 3 Monate. Egal ob Ärzte, Krankenschwestern oder meine Eltern, alle mussten sich komplett „verkleiden“. Mundschutz, Handschuhe, Kittel, das war nicht sehr toll, aber mir blieb ja leider nichts anderes übrig, als auf dem Zimmer allein auszuharren. Mir ging es überhaupt nicht gut. Es schwankte immer von Tag zu Tag. Als es mir richtig elend ging, war mein dreimonatiger Aufenthalt im Krankenhaus zu Ende und die Ärzte hatten eine Vermutung, dass irgendetwas mit meiner Leber nicht in Ordnung sei, sie wollten sich aber nicht festlegen und ein Krankenhauswechsel war der letzte Ausweg. Also wurde ich in die Medizinische Hochschule Hannover verlegt. Dort warteten eine Menge auf mich. Sofort gingen die nächsten Untersuchungen weiter und ich hatte keine Lust mehr. Ich war so erschöpft, müde und schlapp, dass ich es einfach alles über mich ergehen ließ. Nach ein paar Tagen die Diagnose: Autoimmunhepatitis, Typ2A. Eine seltene Krankheit, die es in dieser Form nur einmal in Deutschland gab. Ja, und das war dann ich. Nach dem ganzen Doktor-Deutsch, mit dem ich rein gar nichts anfangen konnte, hat man dann, ohne „doktorisch“ zu reden, es mir mit meinen 5 Jahren verständlich gemacht, was ich habe. Nach einigen Leberpunktionen, bei denen festgestellt wurde, dass meine Leber entzündet und stark vergrößert ist und wochenlangem Aufenthalt in der MHH und der richtigen Medikation durfte ich nach Hause. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Ich hab mich so gefreut, dass ich nach Hause durfte. Alles lief jahrelang ohne Komplikationen. Ich habe meine Kindheit total genossen. Natürlich wusste ich, dass ich krank bin, leider unheilbar, aber das hat mir meinem Lebensmut nicht genommen. Ich habe ab und zu mal etwas weniger machen müssen, aber im Großen und Ganzen konnte ich meine Kindheit gut mit der Krankheit vereinbaren.
Doch dann kam der Schock, mit 13 Jahren. Nach einer normalen Verlaufskontrolle in der MHH bekamen wir einen Tag später einen Anruf. Meine Leberwerte waren so hoch angestiegen, dass ich sofort nach Hannover musste. Ich bekam sehr viele Infusionen, hohe Cortisongaben und andere neue Medikamente, die meine hohen Leberwerte so schnell wie möglich wieder runterfahren sollten. Ein Glück, es hat geklappt. Nach ein paar Wochen in Hannover konnte ich wieder nach Hause.
Es vergingen drei Jahre. Mittlerweile war ich 16 Jahre. Allerhöchste Eisenbahn. Es war noch schlimmer als vor drei Jahren. Meine Eltern fragten, warum das passiert und ob man nicht mal über eine Transplantation nachdenken sollte, aber das wurde verneint und auch eine richtige Antwort bekamen wir nicht. Naja, also begann die selbe Prozedur wie vor drei Jahren noch einmal. Meine Kräfte wurden immer weniger und ehrlich gesagt, hatte ich zu nichts mehr Lust. Ich habe mich gefragt, wofür. In der Schule wurde ich gemobbt. Es war eine Qual, zur Schule zu gehen. Aber trotzdem habe ich einen super Realschulabschluss gemacht.
Einige Verlaufskontrollen in der MHH hatte ich noch in der Kinderklinik, bis ich erwachsen wurde. Von dem Zeitpunkt an, als ich in die Poliklinik musste, merkte ich, wie es mir immer schlechter ging. Die Ärzte dort haben mich gar nicht für voll genommen und meinten einfach zu mir:“Ja, Frau Reiners (zu dem Zeitpunkt war ich noch nicht verheiratet), wir sehen keine großen Heilungschancen bzw. eine Besserung ihrer Symptome, sie sollten sich mit dem Tod befassen.“
Ich fuhr nach Hause und wusste gar nicht, was über mich kam. Ich hab nur vor mir hergeredet:“Das soll es jetzt gewesen sein? Mit 19 Jahren soll ich sterben? Neeee! Neeee, nicht mit mir!“, und das gab mir den Willen zu kämpfen.
Zusammen mit meinem Hausarzt haben wir eine neue Klinik gesucht und haben uns für die Universitätsklinik in Münster entschieden. Eine gute Wahl. Dort fühlte ich mich sicher und bekam das Gefühl zurück, dass Ärzte zum Helfen da sind. Die haben mich langsam aber sicher wieder auf die Beine gebracht und ich wurde 2010 zur Transplantation gelistet. Mittlerweile war ich 23, hatte einen Freund und war einfach glücklich. Natürlich hat man dann so das Thema Kinder, aber wir wussten, das wir nie eigene Kinder bekommen werden und haben uns (irgendwie) damit abgefunden. Aber ich habe zwei supertolle Patenkinder, die mir viel Kraft geben. Dann haben wir uns entschlossen zu heiraten. Toller Tag.IMG-20150103-WA0036
Nach einer ganz normalen Untersuchung stellte man fest, dass ich schwanger bin. Ich fiel aus allen Wolken, wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Ich rief sofort meinen Mann an, dass er nach Hause kommen sollte. Mein Mann und ich waren, glaube ich, die glücklichsten werdende Eltern der Welt.
Die schwangerschaft war natürlich nicht so einfach. Ich hatteeine Risikoschwangerschaft und musste mehr zum Arzt als normal, aber alles verlief zunächst gut. Aber ab der Mitte der Schwangerschaft hatte ich viele Tiefen. Mir ging es immer schlechter und die Ärzte hatten Angst um mich und natürlich um das Baby. Wir haben uns dazu entschieden, das Baby früher zu holen und per Kaiserschnitt. Ich hatte einfach keine Kraft mehr. Ich musste nach der Geburt sofort wieder starke Medikamente nehmen, um meinen Zustand wieder zu stabilisieren. Aber das Beste war und ist, dass unser Sohn kerngesund zur Welt gekommen ist. Das war für mich in dem Moment das Wichtigste. Wie es mir ging, war mir egal. Ich hatte ein Jahr später mit Depressionen zu Kämpfen, hatte eine hepatische Enzephalopathie, d.h. dass ich Schwierigkeiten habe mit dem Reden, Schreiben, Sachen merken, einfach die Motorik fehlte. Auch jetzt habe ich ab und zu wieder diese Schwierigkeiten.
Man entschied sich dann, mir einen Tip-stent zu setzten, um die Gallengänge IMG-20150103-WA0001und den Lebervenenverschluss freizulegen. Es schien, dass dieser Eingriff reibungslos verlief, aber Pustekuchen. Mir wurde in die Leber gestochen und ich erlitt ein Leberversagen. Das hat mich fast mein Leben gekostet. Aber ich habe gekämpft wie eine Löwin, weil ich immer wieder an meinen Sohn denken musste und daran, dass er seine Mutter noch lange braucht. Es hat sich bezahlt gemacht. Ich erholte mich zwar langsam, aber immerhin erholte ich mich. Eine lange Zeit auf der Intensivstation lag hinter mir. Die Ärzte haben drüber nachgedacht, eine Dringlichkeit zur Transplantation auszusprechen, aber dieses wurde abgelehnt. Ich frage mich, was noch alles kommen muss. Ich gehe zum Psychologen, um meine Ängste in den Griff zu bekommen. Ich schlafe schlecht ein aus Angst, dass ich nicht wieder aufwache.
Meine Diagnosen nehmen immer mehr zu. Krampfadern in der Speiseröhre, Gerinnungsfaktormangel, portale Hypertension, Wasseransammlung im Bauch, zu wenig Kalzium und Kalium, wodurch ich schon etliche Krampfanfälle hatte. Ich frage mich immer wieder, was muss noch passieren, aber dann sehe ich die Zahlen der Organspender und da ist die Antwort. Es gibt zu wenige.
Anfang 2015 wurde mir meine Milz entfernt. Sie hat meine Blutplättchen nicht wieder abgegeben und daraus entstand dann, dass meine Leukos nur noch bei 12000 waren. Nun, nach der OP, habe ich erfahren, dass meine Milz ein Gewicht von mehr als 1,6 kg hatte. Ja, das war schon ein großes Teil.
Meinen Alltag kann ich nicht mehr alleine bewältigen. Ich bin in der Pflegestufe 2, bin zu 100% schwerstbehindert, habe eine Haushaltshilfe und bin dann meist nachmittags bei meiner Mutter, die mich dann pflegt und auf den Kleinen aufpasst. Ich darf nicht mehr alleine sein. Für Notfälle habe ich einen Notrufknopf, das Laufen fällt mir schwer, darum habe ich auch einen Rollstuhl.
Ich wünsche mir nur eins: Dass mein Mann, mein Sohn und ich einfach wieder ein „normales“ Leben führen können, als eine kleine Familie.
Im Anschluss möchte ich mich bei allen bedanken, die mir so helfen und uns unter die Arme greifen. Man weiß erst in schwierigen Situationen, wer wirklich zu einem steht.
Danke Mama, Papa, Geschwister, Schwager/Schwägerin, Freunde und Bekannte.
Ein großes Danke an meinen Mann, dafür, dass er immer an meiner Seite ist.